Oskar Barnacks digitales Erbe

Oskar Barnack war ein Pionier der Fotogeschichte. Er hatte 1914 den Mut, neue Wege zu gehen und konstruierte eine kleine Fotokamera für Kinofilm: die Leica. Das Kinofilmformat von 18×24 mm hat er aber auf 24×36 mm verdoppelt, und der horizontal eingelegte Film macht deshalb Aufnahmen im Querformat – außer man dreht die Kamera.

Barnack soll sich dahingehend geäußert haben, dass er das Seitenverhältnis von 2:3 als harmonisch empfand. Ich mag es nicht, aber ich habe auch nichts dagegen wenn andere es mögen. Ich frage mich aber: warum muß ich mit diesem Format leben, so bald ich mich für eine Kamera mit größeren Sensoren als Four Thirds entscheide? Gewiss, ich kann auch tief in die Tasche greifen und eine Mittelformatkamera kaufen. Aber muß man viel Geld ausgeben und einen großen Klotz mit sich herumtragen, wenn man nicht mit 2:3 fotografieren will? Warum ist das so? Ganz einfach: weil es seit Oskar Barnacks Leica immer so war.

Aber das ist nicht das einzige. Ich frage mich nämlich auch: warum muss ich für 90 % meiner Aufnahmen die Kamera drehen, so dass man sie nicht mehr vernünftig handhaben kann? Oder einen klobigen Handgriff kaufen damit es wenigstens halbwegs komfortabel ist? Und einen L-Winkel, damit man die Kamera im Hochformat vernünftig auf ein Stativ bringt? Die Kamerahersteller wissen sehr wohl, dass es auch anders geht. Schon in den Frühzeiten der Fotografie waren die Rückteile vieler Plattenkameras von Quer- auf Hochformat umsteckbar, und auch Hersteller von analogen Mittelformatkameras haben sich darüber Gedanken gemacht. Die Kassetten der Mamiya RB/RZ 67 und der Fuji GX 680 waren drehbar. Beide Hersteller haben das aber bei der Herstellung ihrer digitalen Mittelformatkameras offenbar vergessen. Weder die Mamiya AFD noch die Fuji GX 645 (aka: Hasselblad H) oder gar die ziemlich neue Fuji GFX-50 besitzen ein drehbares Rückteil. Seltsamerweise ist selbst das Digitalrückteil CFV-50 für die klassische Hasselblad 500 C auf horizontales Querformat ausgelegt. Wer schon einmal versucht hat, eine Kamera mit Lichtschacht auf Hochformat auszurichten, der wird auch wissen dass man so fotografische Abenteuer erleben kann. Das alles ließe sich einfach lösen, wenn man statt der rechteckigen Sensoren runde verwenden würde.

My Dream. Oskar Barnacks digitales Erbe - die Versäumnisse der Kameraentwicklung.
My Dream - eine Kamera mit rundem Sensor

Dieser Sensor kann mit einem Durchmesser von 28 mm den Bildkreis eines APS-C Objektivs vollständig abbilden. Für rechteckige Bilder bleibt ein Teil des Sensors ungenutzt, aber dafür lassen sich verschiedene Seitenverhältnisse und Hochformat variabel verwenden.

Runder Sensor mit verschiedenen Bildformaten. Oskar Barnacks digitales Erbe - die Versäumnisse der Kameraentwicklung.
Runder Sensor mit verschiedenen Bildformaten
Ich höre schon: Pixel wegwerfen? Niemals! Aber ehrlich gesagt: es gibt mehr als genug davon. Und wenn ich mit meiner Vollformat- oder APS-C Kamera ein Bild im Seitenverhältnis 3:4 oder im Quadrat haben möchte, dann rät man mir immer, den Rest einfach abzuschneiden oder – so weit möglich – die Kamera entsprechend einzustellen damit die das macht. Die Pixel sind auch weg, und ein Teil dessen was das Objektiv leisten kann auch. Selbst Hasselblad geht diesen Weg für quadratische Bilder mit dem CSV-50. Was übrig bleibt ist ein Bildausschnitt, der kaum noch größer ist als ein Vollformatsensor und von dem berühmten Biogon 38 mm Superweitwinkel nicht einmal ein Standard-Weitwinkel übrig läßt. Wäre es nicht viel besser, wenn man bei einer Digitalkamera auf Knopfdruck umschalten könnte zwischen 2:3, 3:4, 4:5, Quadrat oder was auch immer? Wenn man ebenso auf Knopfdruck oder sogar erst bei der Bildbearbeitung wählen könnte ob es Querformat sein soll oder lieber Hochformat? Wenn das Weitwinkelobjektiv auch beim Quadrat noch ein Weitwinkelobjektiv bleibt? Wenn die Kamera nicht einen Indikator für die horizontale Ausrichtung anzeigt sondern das Bild selbst so ausrichtet?
Hochformat mit automatischer Ausrichtung bei horizontaler leicht gekippter Kamera. Oskar Barnacks digitales Erbe - die Versäumnisse der Kameraentwicklung.
Hochformat mit automatischer Ausrichtung bei horizontaler leicht gekippter Kamera
Ein runder Sensor bietet die dafür nötigen Reserven, die ein herkömmlicher Sensor nicht hat. Er kostet etwas mehr, aber nicht viel; man muß nur die Preisunterschiede zwischen APS-C und Vollformatkameras ähnlicher Bauqualität vergleichen. Die Mehrkosten sind schon heute wahrscheinlich geringer als die eines Handgriffs. Anders als in den frühen Zeiten der Digitalfotografie sind es heute die Objektive, welche die Kosten eines Systems bestimmen, nicht die Kamera. Es macht deshalb Sinn, nicht den Sensor sondern die Objektive bestmöglich einzusetzen.
Objektiv mit Ausschnittbegrenzung. Oskar Barnacks digitales Erbe - die Versäumnisse der Kameraentwicklung.
Objektiv mit Ausschnittbegrenzung

Wenn man sich die Konstruktion aktueller Objektive ansieht, dann stellt man fest, dass die Lichtabschirmungen mancher Objektive die Verwendung größerer Sensoren nicht erlauben. Oder anders gesagt: obwohl das alles so nahe liegt, ist es offenbar nicht am Planungshorizont der Konstrukteure. Wen wundert das? Auch für die Erkenntnis, dass man keinen Spiegel und kein Prisma braucht haben die Systemhersteller Jahre gebraucht, und manche haben es heute noch nicht realisiert. Es hat auch mit den Käufern zu tun, die noch immer eine hochwertige Kamera mit einer Kleinbild-Spiegelreflex gleichsetzen. Auch da ist ein Umdenken notwendig. Ich bin mir sicher: Oskar Barnack hätte es anders gemacht. So aber bleibt es wohl vorerst ein Traum.

Anna - Leica M3. Oskar Barnacks digitales Erbe - die Versäumnisse der Kameraentwicklung.
Anna - aufgenommen mit Leica M3 und Summicron 2/50 auf Ilford HP5. Etwas schief gehalten 😉
Der M3 verzeihe ich es, dass man sie für Hochformataufnahmen drehen muß. Ich halte sie meist so, dass ich mit dem Daumen auslöse.
Diesen Beitrag habe ich ursprünglich 2015 auf meiner vorherigen Homepage veröffentlicht. Auf der Photokina 2018 versuchten die etablierten Hersteller ihr verloren gegangenes Terrain wiederzugewinnen indem sie das gleiche machen wie der schärfste Konkurrent auch. Mehr Pixel, besserer Stabilisator, und jetzt sogar spiegellos – das ist alles worüber sie nachdenken. Terrain gewinnt man mit mutigen Konzepten wie Oskar Barnack sie hatte. Aber jeder sieht nur was er 1914 gemacht hat, nicht was er heute machen würde. Mein Kameratraum hat nicht umsonst die Modellbezeichnung 2032.

What people talk 5 Comments

3. November 2022 Helmut Berghaus

Hallo Andreas,

jenseits der 80 fotografiere ich analog wieder mit Kleinbild, also 2:3, was mir auch nicht gefällt. Deshalb berücksichtige ich bei der Bildkomposition meistens etwas beidseitigen Beschnitt. Die Kameramontage beim selten benutzten Hochformat ist weniger mein Problem.
Auf die Frage nach dem Grund für das Festhalten an diesem 2:3 Format erwähnen Sie Oscar Barnacks Leica und
daß es seitdem halt immer so war.
Allerdings haben sich schon früher Andere gegen dieses unharmonische Format zu wehren versucht.
Etwa 1940 konstruierte der Ungar Dulovits eine interessante Spiegelreflex für das Format 24×32, deren Produktion
der Krieg verhinderte. Erwas später griff Nikon mit der Nikon I das Format noch einmal erfolglos auf.
Die in Ihrem Beitrag angedachten digitalen Möglichkeiten wird wohl leider die Allmacht der Industrie nebst ihren
Konstrukteuren, die nie fotografiert haben, verhindern.

Mit freundlichen Grüßen vom Niederrhein, Hemut

4. November 2022 ewald

Hallo Helmut,

Es ist nie zu spät, neues zu probieren!

Es wäre prima, wenn auch die Kamerahersteller das so sähen. Ich vermute wie Sie, dass sie meist nicht über ihren Horizon hinaus sehen. Aber selbst wenn sie das tun, sind die Entscheidungen wohl weniger durch Innovationsfreude geprägt als durch Gewinnaussichten und Risiken. Ein innovatives Produkt hat zwar ein hohes Gewinnpotential, aber die Kunden müssen davon erst überzeugt werden. Es ist nicht selbstverständlich, dass dies gelingt.

Der Wechsel von DSLR- zu spiegelloser Technik zeigt dies. Ende 2008 hat Panasonic die erste Kamera dieser Art vorgestellt – wohl nicht zufällig ein Hersteller, der nicht zu den etablierten Kamerahersteller gehörte. Trotz des überzeugenden Konzepts hat es zehn Jahre gedauert, bis die Marktanteile dieses Kameratyps so weit zugenommen hatten, dass Canon und Nikon unter Zugzwang geraten sind. Profitiert hat Panasonic vom Mut aber kaum. Die Marktanteile liegen bei nur einem Zehntel des Marktanteils von Canon. Es genügt offenbar, die Vorarbeit anderen zu überlassen und erst spät auf den Zug aufzuspringen.

Man kann den Kameraherstellern kaum vorwerfen, mit neuen Konzepten vorsichtig zu sein. Es liegt meines Erachtens zu einem großen Teil an den Fotografen, die lange am etablierten festhalten, auch wenn es besseres gibt. Nicht umsonst haben die meisten Kameras noch immer einen Prismenaufsatz, obwohl kein Prisma vorhanden ist.

Ich hoffe dennoch, dass 2:3 oder ein anders fixes Format in absehbarer Zeit ausgedient hat.

Viele Grüße aus dem Süden
Ewald

1. Dezember 2021 Nick Lyle

Brilliant.

22. April 2019 Andreas

Hallo,
nun, ganz so einfach ist das mit dem runden Sensor nicht – die Sensoren werden auf großen Wafern gefertigt und dann ausgeschnitten. Das wird bei rund dann doch unpraktisch.
Was ich mir wünschte – und in die Richtung geht – wäre ein quadratischer Sensor. 36x36mm wird nicht gehen, weil dann die Bilddiagonale zu groß wird. Aber 30×30? Dann kann man dann hochkant oder quer jedes Format ausschneiden. Oder gleich quadratisch bleiben… Aber auch das wird ein Traum bleiben – also nehme ich meine Chamonix oder Fuji GX680 und drehe das Rückteil 🙂
Viele Grüße, Andreas

22. April 2019 ewald

Hallo Andreas,
Das ist sicherlich ein berechtigter Einwand. Vielleicht kann man ja wie beim Plätzchenbacken runde Sensoren platzsparender ausschneiden und aus den kleinen Resten Smartphone-Sensoren machen 😉
Ein quadratischer Sensor (36×36 mm für Vollformat-Objektive) war in der Tat mein ursprünglicher Ansatz. Wie Sie richtig anmerken, wird das für ein Quadrat mit der vollen Sensorfläche wegen des Bildkreises nicht reichen, aber 30×30 wäre größer als der quadratische Ausschnitt beim Vollformat und behält auch den Bildwinkel bei. Das wäre schon ein Konzept, das ich mir wünschen würde, und für APS-C-Sensoren (23,7×23,7) wäre es auch keine Kostenfrage.

Bei aller Flexibilität für verschiedene Formate ist damit eine Drehung des Bildausschnitts je nach Format aber nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. Eine verkantete Kamera erfordert daher einen Beschnitt, der selbt bei kleinen Korrekturen recht beträchtlich ist. Ich habe schon so oft mit viel Aufwand fehlende Bildteile ergänzt, dass mir da an einer praxisgerechteren Lösung gelegen ist. Der runde Sensor mit dem Durchmesser des Bildkreises ermöglicht dies, oder auch ein quadratischer in dem dieser Bildkreis untergebracht werden kann. Der wäre für Vollformat-Pendents 43 mm Durchmesser bzw. 43×43 mm – also derzeit nicht ganz billig. Für APS-C Pendents mit 28,4 mm Durchmesser bzw. 28,4×28,4 mm aber nicht teurer als ein Vollformat-Sensor.

Auch größere Sensoren wie 33×44 mm für die sogenannten Mittelformatkameras (eher Kleinbild plus) müssen nicht unbezahlbar sein. Neuerdings bietet Fujifilm für die GFX einen Vollformat-Modus, der den Ausschnitt auf 24×36 mm horizontal beschränkt. Für eine vertikale Ausrichtung reicht es nicht ganz, aber für weniger langgestreckte Seitenverhältnisse würde es reichen. Obwohl die Kamera für 3:4 ausgelegt ist, hat man aber offenbar nicht daran gedacht, dass dies auch für andere Seitenverhältnisse im Vollformat-Bildkreis interessant sein könnte. Damit liesse sich nicht nur ein Quadrat oder eine vertikale Ausrichtung 3:4 realisieren sondern teilweise sogar eine automatische horizontale Ausrichtung. Am Horizont der Konstrukteure (oder des Marketings) ist dies aber offenbar nicht. Mit der GFX lässt es sich freilich leicht umgehen, indem man den Ausschnitt vom vollen Format selbst festlegt.

Eine Chamonix habe ich leider nicht, aber ich habe sie mir auf der Photokina angesehen. Die Kameras haben eine ausgezeichnete Fertigungsqualität, besser als meine Shen-Hao die ich häufig einsetze. Und die GX680 ist ebenso eine hervorragende Kamera- nicht nur wegen des drehbaren Rückteils. Mit dem Polaroid-Rückteil kann man sogar 8×8 cm fotografieren – wenn auch mit abgeschnittenen Ecken 😉

Viele Grüße
Ewald

Sagen Sie uns Ihre MeinungSchreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Zurück nach Oben
Close Zoom