Dieses Dallmeyer 1A Objektiv von etwa 1920 macht nicht den Eindruck, dass man es unbedingt haben muss. Wer will schon so altes Fotozubehör? Und da es nicht aus Messing ist, taugt es nicht einmal für die Vitrine.
Ich mag so etwas und habe es deshalb vor längerer Zeit gekauft – nicht für die Vitrine, sondern um damit zu fotografieren.
Petzval-Objektive
Dallmeyer Objektive
Verwendung Historischer Objektive
Keines dieser Objektive besitzt einen eingebauten Verschluss, wie er bei neueren Großformatobjektiven üblicherweise zu finden ist. Die Objektive müssen daher mit einem separaten Verschluss verwendet werden, der sich vor oder hinter dem Objektiv befindet. Nur wenige neuere Kameras bieten diese Option, so daß die Verwendung mit Film zumindest bei voller Öffnung wegen der kurzen Verschlusszeiten schwierig ist.
Das Dallmeyer 1A ist gerade noch klein genug, um es mit einem Sinar Hinterlinsenverschluss verwenden zu können. Weil der Flansch relativ weit vorn am Objektiv liegt, ist dafür eine Platte mit 27 mm Vorbau notwendig. Ich habe mir eine solche Platte im 3D Druck anfertigen lassen und für die Friedhofs-Aufnahme mit der Sinar 13×18 eingesetzt. Aber schon vor der nächsten Verwendung ist die Platte ohne äußere Einwirkung zerbrochen und das Objektiv wäre beinahe heruntergefallen. Da das Objektiv wegen der Aluminiumfassung vergleichsweise leicht ist, dürfte die Gefahr eines Plattenbruchs bei schweren Objektiven noch um einiges höher sein. Ich kann nur dringend davon abraten, solche Platten für die Montage hochwertiger Objektive zu verwenden.
Auf der Aufnahme mit der zerbrochenen Platte ist zu sehen, dass vorn ein Adapterring 77-82 in das Objektiv eingeschraubt ist. Das Objektiv hat nicht wirklich ein Gewinde, aber der Ring läßt sich trotzdem einschrauben. Dieser Ring ist für einen handelsüblichen Schutzdeckel oder für Filtervorsätze nützlich, insbesondere für starke Graufilter beim Außeneinsatz mit offener Blende.
Für Kollodium Nassplatten kommt man aber wegen der langen Belichtungszeiten gut ohne Verschluss aus. Ich habe das Objektiv also wieder auf eine flache Sinar-Platte montiert und nehme einen Verschluß wie Anno dazumal. Mangels Zylinder halte ich bis zur Belichtung das Einstelltuch vor das Objektiv, zähle dann die Sekunden und decke es wieder ab.
Warum und wie ich dieses Objektiv verwende
Man ist geneigt zu glauben, dass ein hundert Jahre altes Objektiv keine gute Bildqualität liefert. Tatsächlich kann man damit aber sehr viel schärfere Bilder machen als es die meisten vermuten. Dallmeyers Objektive hatten aus gutem Grund einen hervorragenden Ruf, und sie haben ihn immer noch.
Wer scharfe Bilder haben will, kann es mit einem modernen Großformatobjektiv billiger haben. Die Dallmeyer Patent Objektive der Serien A und B haben aber zwei Besonderheiten, die moderne Großformat-Objektive nicht haben.
Einmal sind sie lichtstärker als praktisch alle moderneren Großformat-Objektive, so dass damit eine deutlich geringere Schärfentiefe erzielt werden kann. Ich setze das Objektiv deshalb ausschießlich bei Offenblende ein.
Zum anderen werden diese Objektive für größere Formate verwendet als spezifiziert. Das Dallmeyer 1A ist ein Objektiv für 4×5 Inch, aber ich verwende es praktisch immer für 5×7 – also fast doppelt so groß. Es ist also in etwa so, als würde man ein APS-C Objektiv für das Vollformat verwenden. Das Dallmeyer-Objektiv hat damit aber wenig Probleme; es äußert sich in etwas dunkleren Randbereichen mit einer verwischten Unschärfe-Charakteristik (swirly bokeh, wie es auf englisch genannt wird). Das letztere macht sich im Studio allerdings weniger bemerkbar.
Praktisch alle meine Wet Plates im Format 5×7 Inch wurden mit diesem Objektiv aufgenommen. Ich setze es aber auch für Portraits und Aktaufnahmen auf Film ein. Von einer Ausnahme abgesehen verwende ich dafür keinen Blitz sondern Dauerlicht – entweder intensives HMI-Licht für Wet Plates, oder Einstell-Licht für Aufnahmen auf Film. Alle Aufnahmen sind daher mit Belichtungszeiten von etwa einer bis acht Sekunden aufgenommen. Das ist heute alles andere als üblich, aber es ist einer der Gründe, warum diese Bilder eine andere Wirkung haben, die auch historische Fotografien auszeichnet. Wer näheres darüber erfahren möchte, ist sicher an einem Interview mit Paolo Roversi interessiert. Er ist einer der renommiertesten Modefotografen und hat auch den Pirelli-Kalender 2020 fotografiert. Auch wenn er dafür digital arbeitet: einen Blitz sucht man vergeblich.
Meine Serie von Portraits und Aktfotografien auf Film habe ich wegen dieses Bezugs zur historischen Fotografie “Century” genannt.
Mittlerweile besitze ich noch weitere historische Objektive für kleinere und größere Formate, aber das Prinzip hinter den Aufnahmen ist stets das gleiche.
Das Dallmeyer 1A mag wohl kein Vitrinenstück sein, aber es ist eins meiner wichtigsten Objektive. Das wissen auch andere, und entsprechend rar sind solche Objektive. Vor allem werden sie von Händlern aufgekauft, um dann die Preise stark in die Höhe zu treiben. Ich habe gerade ein Angebot für eine Messingausführung des Dallmeyer 1A gesehen, für das über 2000 € verlangt wurden. Der tatsächliche Wert liegt eher bei etwa 800 €, für ein Dallmeyer 3B bei 2000 €. Das ist viel Geld, aber wenn ich mir aktuelle Preise für moderne Objektive für Digitalkameras ansehe, dann bekomme ich mit einem historischen Objektiv nicht nur eine Rarität sondern auch fotografisch einiges mehr für das Geld.
Die Bilder auf der rechten Seite sind Aufnahmen aus der Serie “Century” mit dem Dallmeyer 1A auf Film, die unten sind aus meinen Galerien mit Kollodium-Nassplatten, von denen die meisten ebenfalls mit diesem Objektiv entstanden sind.
1. November 2021 Author STADELMANN ADRIAN
Sehr beeindruckende Bilder. Ich würde es nun doch als Kunst betiteln, auch wenn das Handwerk, oder genau weil das Handwerkliche können ausschlaggebend ist. Gratulation zu diesen Werken!
Freundliche Grüsse aus der nahen Schweiz, Adrian
4. November 2021 Author ewald
Vielen Dank für diese Einschätzung, Adrian!
Ich habe mich nie als Künstler gesehen. Bei aller Begeisterung für das Handwerkliche freut es mich aber, dass man mehr als Handwerk in meiner Arbeit sehen kann.
Viele Grüße in die Schweiz, Ewald